Erbunwürdigkeit bei versuchter Tötung des geschäftsunfähigen Erblassers (Nachricht E 2016/088)


Erbrecht LogoNur in seltenen Fällen ist es möglich, einem Pflichtteilsberechtigten auch seinen Pflichtteilsanspruch zu versagen, § 2339 BGB.

Nach § 2339 I Nr. 1 ist erbunwürdig, „wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht oder in einen Zustand versetzt hat, infolge dessen der Erblasser bis zu seinem Tode unfähig war, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben“.

Im zu entscheidenden Fall hatten der Beklagte und seine Ehefrau ein notarielles Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben sowie ihre drei Kinder, den Kläger und seine beiden Schwestern, zu gleichberechtigten Schlusserben einsetzten.

Die Ehefrau erkrankte 1997 an Alzheimer und wurde 2002 in ein Alten- und Pflegeheim verlegt. Im Jahre 2003 erlitt sie einen epileptischen Anfall und erhielt eine PEG- Sonde, über die ihr Nahrung, Flüssigkeit und Medikamente zugeführt wurden. Sie verließ das Krankenzimmer in der Folgezeit nicht mehr und eine verbale Kommunikation war nicht mehr möglich. Der Beklagte wurde angesichts des Zustandes seiner Ehefrau zunehmend depressiv und hatte auch bereits einen Selbstmordversuch unternommen. Im Jahre 2012 durchtrennte er dann mit einer Schere den Verbindungsschlauch zur Sonde. Das Pflegepersonal konnte die Sonde reparieren. Die Ehefrau verstarb an einer Lungenentzündung, die mit der Tat des Beklagten in keinem ursächlichen Zusammenhang stand. Der Beklagte wurde wegen versuchten Totschlages in einem minder schweren Fall (§ 213 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Der Kläger erhob Anfechtungsklage gerichtet auf die Erklärung der Erbunwürdigkeit des Beklagten.

Das Landgericht Gießen (Entscheidung vom 27.05.2013, 2 O 417/12) gab der Klage statt.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Entscheidung vom 28.05.2014, 1 U 152/13) gab der Berufung statt und wies die Klage ab.

Das OLG führte zur Begründung aus, „dass eine versuchte Tötung in einem minder schweren Fall nicht ohne weiteres dazu geeignet sei, eine Erbunwürdigkeit zu begründen. § 2339 I Nr. 1 BGB sei vielmehr als Regelvermutung zu verstehen, die eine Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalles zulasse. Zweck der Bestimmung sei der Schutz der Würde des Erblassers in seiner Eigenschaft als Träger von Testierfreiheit. Dieser Schutzzweck sei vorliegend durch das Verhalten des Beklagten nicht berührt.“ Die Erblasserin war krankheitsbedingt seit 10 Jahren nicht mehr testierfähig. Darüber hinaus sei Motiv der versuchten Tötung die Verzweiflung und die Ausweg- und Aussichtslosigkeit gewesen und nicht eine aggressive Motivation.

Dagegen legte der Kläger Revision ein.

Der hier vorliegende Fall erfülle die Voraussetzungen des § 2339 I Nr. 1 BGB, so der BGH. Nicht erfasst von § 2339 I Nr. 1 BGB werde die Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB. Vorliegend sei jedoch nicht ersichtlich und sei auch nicht vom Beklagten mit Substanz vorgetragen worden, dass ein Fall von § 216 StGB vorliege. Auch komme es auf die Motive des Erbunwürdigen nicht an, denn es heiße „ist“ erbunwürdig und lasse deshalb keinen Spielraum zu. Auch habe der Beklagte kein Verfahren nach §§ 1901 a ff BGB eingeleitet.

Der BGH hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Dort muss zum einen über die Schuldfähigkeit des Beklagten Beweis erhoben werden, weil dieser sich ausdrücklich auf Unzurechnungsfähigkeit berufen hatte und im Rahmen dessen auch Feststellungen dazu getroffen werden, inwieweit ein Patientenwille der Erblasserin dahingehend bestand, dass lebenserhaltende Maßnahmen nach ihrem Wunsch abzubrechen seien.

BGH , Urteil vom 11.03.2015, IV ZR 400/14

signatur-artikel-nadine-becker