Insolvenzgeld und Urlaubsabgeltung – Zahlung „bei“ oder „wegen“ Beendigung des Arbeitsverhältnisses?


„Bei“ oder „wegen“ Beendigung des Arbeitsverhältnisses?

Das ist hier die Frage!

Das Sozialgericht Aachen (SG Aachen S 21 AL 179/14) hatte sich zuletzt mit einem Sachverhalt eines Arbeitnehmers, welcher aufgrund Kündigung des Arbeitsverhältnisses noch Urlaubsabgeltung von seiner Arbeitgeberin zu verlangen hatte, zu beschäftigen. Das Arbeitsverhältnis endete für den Arbeitnehmer im Zustand der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Gemäß ständiger Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts ist damit Urlaub in europarechtskonformer Auslegung des § 7 BUrlG abzugelten. Es gilt ein Übertragungszeitraum von mindestens 18 Monaten.

So stellte das Bundesarbeitsgericht insbesondere mit seiner Entscheidung vom 19. Juni 2012 NZA 2012, 1087 klar:

Der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch unterfällt als reiner Geldanspruch unabhängig von der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht dem Fristenregime des Bundesurlaubsgesetzes.

Im ursprünglichen arbeitsgerichtlichen Verfahren Arbeitsgericht Aachen 7 Ca 4051/13 erging Anerkenntnisurteil. Während des Vollstreckungsversuches aus dem Anerkenntnisurteil wurde über das Vermögen der ehemaligen Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Arbeitnehmer beantragte nunmehr bei der zuständigen Bundesagentur für Arbeit die Bewilligung von Insolvenzgeld. Die Ausgangsbehörde und die Widerspruchsbehörde lehnten den Anspruch mit der Begründung ab, es handele sich um Leistungen „wegen“ der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Damit greife der Ausschluss des § 166 SGB III ein. § 165 Abs. 2 Satz 1 SGB III lautet zunächst:

(2) 1Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis.2Als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht (§ 7 Abs. 1a des Vierten Buches), gilt der Betrag, der auf Grund der schriftlichen Vereinbarung zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmt war.

Demnach fallen Ansprüche aus Urlaubsabgeltung unzweifelhaft unter den sozialrechtlichen Begriff der Bezüge.

Die Behörde beruft sich dementgegen auf die Ausschlussnorm des § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, wie bereits bestätigt durch Bundessozialgericht B 11 AL 12/08 R:

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die sie wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben.

Eine scheinbare Stütze findet diese Rechtsansicht in der Formulierung des Gesetzes. § 7 Abs. 4 BUrlG normiert als Anspruchsgrundlage den Anspruch auf Urlaubsabgeltung nämlich wie folgt:

(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.

Völlig klar ist, dass der Gesetzgeber mit dieser Formulierung jedenfalls die Insolvenzgeldfähigkeit von Abfindungen i. S. d. §§ 9, 10 KSchG ausschließen wollte. Soweit es sich bei Urlaubsabgeltung allerdings nunmehr um einen echten Entgeltanspruch aus Bezügen handelt, so sollte dieser sicherlich nicht vom gesetzgeberischen Willen des Ausschlusses erfasst werden.

Der Kläger vertritt daher die Ansicht, dass aufgrund der Abkehr des Bundesarbeitsgerichts von der sog. Surrogationstheorie bei Urlaubsabgeltung, damit auch die Begrifflichkeit des § 7 Abs. 4 BUrlG dahingehend europarechtsfreundlich ausgelegt werden müsse, dass die Formulierung des § 7 Abs. 4 BUrlG  „wegen“  als „bei“ Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist.

Schließlich ist der Urlaubsabgeltungsanspruch gemäß der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs EuGH AZ C-118/13 auch vererbbar (sog. Fall „Bollacke“). Hierin findet sich nunmehr eine weitere Parallelität zur Normierung des § 165 Abs. 4 SGB III, nach welcher auch Insolvenzgeld vererbbar ist.

Dieser Auslegung wollte sich das Sozialgericht Aachen mit Entscheidung vom 18. September 2015 nicht anschließen und wies die Klage ab. Eine Begründung liegt noch nicht vor. Diese bleibt abzuwarten. Aufgrund der Argumente des Gerichtes während der mündliche Verhandlung muss jedoch von einer Verkennung der Bedeutung der europarechtskonformen Auslegung des § 7 BUrlG ausgegangen werden, so dass ernsthaft die Einlegung des Rechtsmittels der Berufung in Betracht gezogen werden muss.

Wir werden über den weiteren Verlauf dieser Sache informieren.

Signatur Artikel Björn-M. Folgmann

Rechtssicherheit zur Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen

Bundessozialgericht B 11 AL 12/08 R