Gefälligkeitsattest und Rechtsfolgen


Wir hatten bereits dargestellt, dass dem ärztlichen Attest (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – kurz AU-Bescheinigung) besondere Bedeutung im Arbeitsrecht zukommt.

1.

Der Arbeitgeber disponiert aufgrund dieses Attestes sowohl über Ersatzarbeitskräfte für den erkrankten Arbeitnehmer, was insbesondere während des Entgeltfortzahlungszeitraumes von 6 Wochen, mit Mehrkosten für ihn verbunden ist. Während dieses Zeitraumes ordnet der Arbeitgeber z. B. Überstunden für andere Arbeitnehmer, mit einhergehenden Mehrkosten an. Zudem ist er zur Entgeltfortzahlung verpflichtet (§ 3 EFZG). Ergänzend steigt der Verwaltungsaufwand, insbesondere bei häufigen Kurzerkrankungen.

Bei längerfristigen Erkrankungen hat der Arbeitgeber zudem die Entscheidung zu treffen, eine Ersatzarbeitskraft einzustellen. Hierdurch begründet er ein völlig neues Arbeitsverhältnis mit den weiteren hieraus resultierenden Pflichten und insbesondere auch Kosten.

Dem Arbeitgeber bleibt grundsätzlich nichts anderes übrig, als dem attestierenden Arzt zu vertrauen?!

2.

Ist der attestierende Arzt sich dieser Gesamtumstände nicht bewusst, so kann dies erhebliche berufsrechtliche und finanzielle Konsequenzen für ihn und den Arbeitnehmer nach sich ziehen.

Der Arzt hat bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und diese nach bestem Wissen seiner ärztlichen Überzeugung auszusprechen (vgl. 25 MBO-Ä 1997).

So verurteilte das VG Gießen einen Arzt zu einem Bußgeld in Höhe von 2.000,00 € (VG Gießen 21 K 381/09). Es sah in der Erstellung eines Gefälligkeitsattestes einen Vorstoß gegen diese vorgenannten Pflichten begründet. Ein ähnlicher Vorstoß gegen die Berufspflichten begründet sich für den Fall, dass der bestätigende Arzt den Patienten überhaupt nicht gesehen hat (VG Gießen 21 K 1582/10).

3. Die Aussage eines Facharztes für Nervenheilkunde zur mangelnden Erziehungsfähigkeit und Mütterlichkeit einer Person, ohne diese persönlich gesehen zu haben, allein aufgrund willkürlich herausgegriffener Passagen eines anderen fachärztlichen Gutachtens und der Angaben des Gegners in einem anhängigen Sorgerechtsstreit, verstößt gegen das Gebot, die ärztliche Überzeugung nach bestem Wissen auszusprechen.

Neben dieser Sanktion kann sich der behandelnde Arzt auch des Vorwurfs einer Strafbarkeit aussetzen, indem er inhaltlich falsche, aber formell echte Gesundheitszeugnisse ausgestellt hat (278 StGB).

Insbesondere die Rückdatierung von Attesten stellt in der arbeitsrechtlichen Praxis ein Problem dar. Vielen Ärzten, Arbeitnehmern und auch Arbeitgebern scheint nämlich die Vorschrift des § 5 Abs. 3 AU-Richtlinie GBO unbekannt. Demnach ist eine Rückdatierung nur in Ausnahmefällen und für maximal zwei Tage erlaubt (Anm. des Autors: in meiner langjährigen Berufstätigkeit traf ich nicht selten auf Sachverhalte, in welchen gleich für Wochen rückdatiert wurde. Die der Dauer nach längste Rückdatierung erfolgte für erstaunliche 5 Monate. Hellseherische Fähigkeiten schienen diesem attestierenden Arzt zur Hilfe gekommen zu sein – die Macht schien mit ihm).

Rückdatierungen für längere Zeiträume kommt keine Beweiskraft zu (LAG Mecklenburg-Vorpommern 3 Sa 195/07).

2. Im Falle einer rückwirkenden Feststellung der Arbeitsunfähigkeit über zwei Tage hinaus ist regelmäßig von der Erschütterung des Beweiswertes eines entsprechenden ärztlichen Attestes auszugehen.

Die Norm des § 5 Abs. 3 AU-Richtlinie GBO läuft inhaltlich parallel zu den Anordnungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG. Dort ist vorgesehen, dass der Arbeitnehmer spätestens mit Ablauf des 3. Tages seiner Erkrankung dem Arbeitgeber eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorzulegen hat.

3.

Entfällt die Beweiskraft des Attestes, so steht dem Arbeitgeber jedenfalls auch ein Zurückbehaltungsrecht am Lohn zu (§ 7 EFZG):

Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die von ihm nach § 5 Abs. 1 vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder den ihm nach § 5 Abs. 2 obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt.

Wird ein Attest etwa lediglich auf telefonischen Anruf ausgefertigt, so liegt im Einzelfall der Verdacht der Gefälligkeit sehr nahe.

Auch der Patient macht sich bei der Nutzung solcher unrichtiger Zeugnisse strafbar (279 StGB). Dies sollte der Arbeitnehmer bei der Verwendung von Gefälligkeitsattesten berücksichtigen. Zudem kommen auf ihn arbeitsrechtliche Konsequenzen zu. Die Nutzung eines Gefälligkeitsattestes kann zudem auch eine solch schwerwiegende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers darstellen, dass eine Abmahnung entbehrlich wird, also eine außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt sein kann (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern 3 Sa 195/07, LAG Rheinland Pfalz 6 Sa 188/13).

4.

Wird ein ärztliches Zeugnis im Rahmen eines Prozesses in Form eines Sachverständigengutachtens eingeholt, so kann eine scheinbare Gefälligkeit auch zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit führen. Der sachverständige Arzt verliert damit seinen Vergütungsanspruch aus dem Gutachterauftrag (Erstellung des Gutachtens). Zudem ist der Anwendungsbereich der Schadensersatznorm des  § 839 a BGB eröffnet.

Schließlich kann sich der attestierende Arzt gegenüber der Krankenkassen oder dem Arbeitgeber wegen der Zahlung der Lohnersatzleistungen schadensersatzpflichtig machen (§ 106 Absatz 3 a SGB V).

(3a) Ergeben die Prüfungen nach Absatz 2 und nach § 275 Abs. 1 Nr. 3b, Abs. 1a und Abs. 1b, daß ein Arzt Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat, obwohl die medizinischen Voraussetzungen dafür nicht vorlagen, kann der Arbeitgeber, der zu Unrecht Arbeitsentgelt gezahlt hat, und die Krankenkasse, die zu Unrecht Krankengeld gezahlt hat, von dem Arzt Schadensersatz verlangen, wenn die Arbeitsunfähigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich festgestellt worden ist, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen hatten.

Für Arbeitgeber bedeuten die eindeutig für die Ärzteschaft bestehenden Pflichten zumindest dann einen Anhaltspunkt für weitere Prüfungen, wenn der Arzt dafür bekannt ist „gerne einmal ein Attest aus Gefälligkeit auszustellen“.

Zudem gewinnt der Arbeitgeber in dieser Konstellation einen weiteren wirtschaftlich potenten Drittschuldner, für den Fall, dass bei dem Arbeitnehmer Ersatz nicht zu erlangen ist.

Signatur Artikel Björn-M. Folgmann

Falsches Attest und die Kündigung des Arbeitnehmers

LAG Mecklenburg-Vorpommern 3 Sa 195/07

Richtlinie AU (Vertragsärzte)

VG Gießen 21 K 1582/10