BGH: Elternunterhalt wird nicht durch bloßen Kontaktabbruch gegenüber dem volljährigen Kind verwirkt


Die Antragstellerin, die Frei Hansestadt Bremen, verlangte Elternunterhalt in Höhe von knapp 9.000,00 € von dem Antragsgegner aus übergegangenem Recht.

Der Antragsgegner, der als Beamter tätig ist, wurde im Jahre 1953 geboren. Seine Eltern trennten sich 1971. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsgegner 18 Jahre alt. Der Antragsgegner verblieb im Haushalt seiner Mutter. Im Jahre 1972 absolvierte er sein Abitur. Der bis dahin noch lose bestehende Kontakt zu seinem Vater brach danach völlig ab. 27 Jahre lang hatte der Antragsgegner keinerlei Kontakt zu seinem Vater.  Dieser bestritt seinen Lebensunterhalt als Rentner aus Erträgen seiner Lebensversicherung und einer geringen Altersrente. In seinem Testament verwies er den Antragsgegner auf dessen „strengsten Pflichtteil“ und begründete dies mit dem seit 27 Jahren fehlenden Kontakt. Im April 2008 verzog der Vater in eine Heimeinrichtung, wo er im Februar 2012 verstarb.

Für diesen Zeitraum macht die Antragstellerin  aus übergegangenem Recht für erbrachte Leistungen eine Zahlung in Höhe von knapp 9.000,00 € geltend.

Dieser Betrag war dem Grunde und der Höhe nach unstreitig.

Der Antragsgegner machte jedoch geltend, dass der Anspruch auf Elternunterhalt auf Grund einer schweren Verfehlung nach § 1611 I S.1 Alt. 3 BGB verwirkt sei.

Nachdem das Amtsgericht dem Antrag der Antragstellerin stattgab, wies das OLG den Antrag unter Hinweis darauf, dass eine schwere Verfehlung des Vaters vorliege und damit Verwirkung eingetreten sei, zurück.

„Das Verhalten des Vaters lasse in seiner Gesamtschau einen groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung erkennen und der Unterhaltspflichtige würde infolgedessen als Person herabgewürdigt, zurückgesetzt oder gekränkt“. Das Verhalten könne nicht als einfache Kontaktlosigkeit bagatellisiert werden, so das OLG.

Der BGH qualifizierte das vorliegende Verhalten jedoch nicht als schwere Verfehlung im Sinne des § 1611 BGB. Danach könne eine schwere Verfehlung nur bei einer „tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen“ angenommen werden. Der Kontaktabbruch stellt zwar, auch nach Ansicht des BGH, eine Verfehlung dar, jedoch qualifiziert der BGH diesen nicht als schwere Verfehlung.

„Eine Kontaktverweigerung kann, wenn keine weiteren Umstände hinzutreten, nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen eine Verwirkung des Unterhalts begründen.“

Das Alter des in Anspruch Genommenen spielt dabei eine wichtige Rolle, denn der BGH hält eine „Verwirkung des Elternunterhalts dann für gerechtfertigt, wenn der Elternteil sein Kind, das er später auf Elternunterhalt in Anspruch nimmt, schon im Kleinkindalter bei den Großeltern zurückgelassen hat und sich in der Folgezeit nicht mehr in nennenswertem Umfang um es gekümmert hat“. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der Vater sich bis zum 18 Lebensjahr um seinen Sohn gekümmert hat und damit „in den Lebensphasen, in denen eine besondere elterliche Fürsorge erforderlich ist, seinen Rechtspflichten genügt hat“.

Dass der Vater den Antragsgegner in seinem Testament auf den Pflichtteil verwiesen und damit enterbt hat, konnte zur Begründung einer schweren Verfehlung nicht herangezogen werden, weil der Vater damit lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht hat.

Der BGH hat in der Konsequenz den Beschluss des OLG aufgehoben und die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat, wie schon das Amtsgericht Delmenhorst entschieden hatte, den Betrag in Höhe von knapp 9.000,00 € zu zahlen.

Signatur Artikel Nadine Becker

 

AG Delmenhorst, Entscheidung vom 27.03.2012, 22 F 125/11 UK

OLG Oldenburg, Entscheidung vom 25.10.2012-14 UF 80/12

BGH, Beschluss vom 12.02.2014, XII ZB 607/12